VON MICHAEL HÖCHSMANN:
„Good games depend on good rules, more than they depend on good players“, formulierte einst der amerikanische Nobelpreisträger für Ökonomie, James Buchanan. In der Tat sind es die
Grundregeln für das Zusammenspiel von Familie und Unternehmen, die den entscheidenden Erfolgsfaktor für die Überlebensfähigkeit von Familienunternehmen ausmachen.
Die Entwicklung einer Familienstrategie stellt einen Prozess dar, in dem die gemeinsamen Grundüberzeugungen über die Werte und Ziele des Unternehmens sowie über die Rollen und Entscheidungsprozesse in der Familie erarbeitet, vereinbart und kontinuierlich überprüft werden.
Der Zweck ist, die familiären Leitprinzipien und Regeln bezüglich Solidarität, Gerechtigkeit, Führung, Verantwortung, Beteiligung und Einigung als das Grundgesetz für Stabilität, Einheit und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens für alle Familienmitglieder, Entscheidungsträger und Aufsichtsgremien sichtbar und nachvollziehbar zu etablieren.
„Das größte Problem in der Kommunikation ist die Illusion, sie hätte stattgefunden“, sagte der Schriftsteller George Bernhard Shaw. Noch wichtiger als das, worüber gesprochen wird, ist das, worüber nicht gesprochen wird. Die oft von den Beteiligten selbst gar nicht wahrgenommene Teil- oder Schein-Kommunikation über wichtige Fragen zur Zukunft des Familienunternehmens kann zu einer schleichenden Entfremdung und den bekannten Eskalationsspiralen einer Misstrauenskultur führen, was dann meist der Anfang vom Ende ist.
Eine immer noch große Zahl der Familienunternehmer glaubt, dass eine formale, d. h. schriftliche Festlegung von Grundsätzen und Regeln eine unnötige Einschränkung ihrer kreativen Kraft und der unternehmerischen Flexibilität bedeuten könnte. Doch mit der richtigen Dosierung aus Klarheit, Verbindlichkeit und Konzentration auf die wirklich kulturprägenden Merkmale kann es durchaus gelingen, Transparenz und Berechenbarkeit und zugleich auch Gestaltungsfreiräume für situationsgerechtes Handeln zu ermöglichen.
Die konkrete Erarbeitung einer Familienstrategie sollte durch einen neutralen externen Moderator, der möglichst sowohl über breites Fachwissen im Bereich Family Business Governance als auch über professionelle Prozessbegleitungskompetenz verfügt, unterstützt werden. Nach Möglichkeit sollten nicht nur die Gesellschafter, sondern alle Familienmitglieder, auch z. B. die angeheirateten Angehörigen und die Kinder, soweit sie ausreichend verständig sind, einbezogen werden.
Die Familiencharta als sichtbares Resultat der Familienstrategie entspricht im übertragenen Sinne dem Grundgesetz eines Staates. Sie schafft das Bewusstsein für die zentralen Grundwerte und die gemeinsame Identität.
Jedes Grundgesetz ist aber letztlich nur so stark wie die Institutionen, die für die Einhaltung der vereinbarten Postulate und Regeln sorgen. Um im Bild einer stabilen Staatsordnung zu bleiben: Ohne strikte Gewaltentrennung und die unzweifelhafte Autorität des Bundesverfassungsgerichts wären die verschiedenen Regierungen und Koalitionen wohlmöglich schon längst einmal der Versuchung erlegen, sich das Grundgesetz „passend“ zu machen und damit die Stabilität des Landes auf´s Spiel zu setzen.
Insofern verstehen wir die Familiencharta als oberste normative Instanz, die mit möglichst einstimmiger Verabschiedung (Konsensprinzip im Unterschied zum Mehrheitsprinzip) als eine emotional und moralisch bindende Rahmenregelung für das Verhältnis der Familienmitglieder untereinander und zum Unternehmen dient und damit die Grundlage für die juristisch verbindlichen Regelungen des Gesellschaftsvertrags, der Satzung, der Ehe- und Erbverträge, etc. schafft.
So wie das Grundgesetz nur relativ wenige Artikel enthält und diese in zum Teil plakativer und abstrakter Art formuliert sind, sollte eine Familiencharta nur aus einen überschaubaren Kanon wirklich wichtiger und akzeptierter Grundsätze bestehen. Die konkrete Regelung spezifischer Fragestellungen sollte dem Gesellschaftsvertrag und den damit verbundenen Ausführungsbestimmungen vorbehalten sein.
Entscheidend für die stabilisierende Wirkung einer Familiencharta ist die stetige, wechselseitige Überprüfung der dort festgehaltenen, allgemeinen Aussagen und Forderungen mit den im Detail ausformulierten Verpflichtungen und Einzelbestimmungen in den relevanten Verträgen.
Und bitte keine Pro-forma-Aktionen! In Schönwetterperioden zügig zu Papier gebrachte Allgemeinplätze, edle Wunschvorstellungen und oberflächliche Kompromissformeln dienen nicht der Bewahrung des Familienfriedens, sondern schaffen eine gefährliche Scheinsicherheit, die früher oder später zum Vorschein kommt, meist in den ungünstigsten Situationen.