VON THORSTEN KLINKNER
Verkauft man seine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, an der man zu mindestens 1% beteiligt ist, unterliegt der Gewinn in Deutschland einer Steuerlast bis zu 27%. Während die Besteuerung bei diesem tatsächlichen Geldzufluss noch naheliegt, schlägt der Fiskus für viele Gesellschafter überraschend auch dann zu, wenn diese unverändert an der Gesellschaft beteiligt bleiben und damit auch gar keinen Kaufpreis ausgezahlt bekommen.
Getreu dem Motto „Sie können gehen, aber Ihr Geld bleibt hier“ fingiert das Außensteuergesetz (AStG) in § 6 AStG mit der sogenannten Wegzugsbesteuerung unter anderem dann, wenn man zu 1% an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist und nach einer mindestens zehn Jahre langen unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in die Schweiz, USA oder ein anderes Land außerhalb der EU/des EWR verlegt, eine steuerpflichtige Veräußerung der Beteiligung. Auch bei einer unentgeltlichen Anteilsübertragung an einen Empfänger, der in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, greift die Veräußerungsfiktion. Dies gilt aus Sicht des FG Köln (Urteil v. 28.03.2019 – 15 K 2159/15, zur Revision beim BFH zugelassen) unabhängig davon, ob Deutschland sein Besteuerungsrecht in Folge der Übertragung an den Empfänger im Ausland überhaupt verliert.
Gerade mittelständischen Unternehmerfamilien, deren Beteiligungen an dem Familienunternehmen über Generationen hinweg auf einen Verkehrswert in mehrstelliger Millionenhöhe angewachsen sind, droht hierdurch ein ungeahnter finanzieller Nackenschlag. Die Problematik hat sich in den letzten Jahren durch die Attraktivität eines Studiums im Ausland sowie zunehmend grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen verschärft, da hieraus auch eine steigende Anzahl an Gründen im privaten sowie unternehmerischen Bereich für eine Wohnsitzverlagerung ins Ausland spricht.
Für Hoffnung auf Besserung sorgte der Europäische Gerichtshof durch sein Urteil vom 26.02.2019 (C-581/17, Wächtler). Hier stellte der EuGH fest, dass der § 6 AStG bei erwerbsbedingtem Wegzug in die Schweiz für eine Benachteiligung gegenüber in Deutschland bleibenden Gesellschaftern und damit für einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit sorgt. Aufgrund des bilateralen Austausches von Steuerinformationen (Artikel 27 DBA Deutschland-Schweiz) könne Deutschland auch nach dem Wegzug alle notwendigen Informationen über eine Anteilsveräußerung erhalten. Auch könne dem möglichen Risiko des Steuerverlusts durch eine Sicherheitsleistung des wegziehenden Gesellschafters begegnet werden. Damit liege trotz der in § 6 Absatz 4 AStG vorgesehenen Stundungsmöglichkeit in Härtefällen keine Rechtfertigung der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit durch § 6 AStG vor. Insbesondere bis zur tatsächlichen Veräußerung der Anteile sei eine Stundung der Steuer sachgerecht.
Die Reaktion des Bundesministeriums der Finanzen (BMF-Schreiben vom 13.11.2019) fiel nun ernüchternd aus. Die Finanzverwaltung gewährt dem wegziehenden Gesellschafter (abweichend von § 6 Absatz 4 Satz 1 AStG) auf Antrag eine Stundung
- in fünf gleichen Jahresraten (zzgl. der nach § 234 AO entstehenden Zinsen),
- ohne dass es auf eine erhebliche Härte bei alsbaldiger Einziehung der Steuer ankommt und
- ohne Sicherheitsleistung, außer, der Steueranspruch erscheint gefährdet.
Damit blieb das BMF deutlich hinter den Forderungen des EuGH zurück. Wünschenswert wäre unter anderem die Stundungsmöglichkeit bis zu der tatsächlichen Veräußerung der Anteile gewesen.
Solange die Mitglieder der Unternehmerfamilie selbst an dem Familienunternehmen beteiligt bleiben, lässt sich die Wegzugsbesteuerung damit auch weiterhin nur dadurch wirksam abwenden, dass entweder der Wohnsitz in Deutschland aufrecht erhalten bleibt oder binnen fünf Jahren wieder begründet wird. Bei der Widerbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach fünf Jahren ist jedoch die Einschränkung zu beachten, dass sowohl nach Ansicht der Finanzverwaltung (Tz. 6.4 des Anwendungserlasses zum AStG (AEAStG), BStBI. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3) als auch des FG Münster (Urteil v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E, zur Revision beim BFH zugelassen) bereits im Zeitpunkt des Wegzugs eine (nachweisbare) Rückkehrabsicht nach Deutschland vorgelegen haben muss.
Die Suche nach einer stabilen und planungssicheren Eigentümerstruktur führt Wegzugsinteressierte daher regelmäßig zu einer neuen Heimat für ihre Anteile an dem Familienunternehmen: werden die Anteile des Familienunternehmens VOR der Aufgabe des deutschen Wohnsitzes an eine Stiftung übertragen, ist die Wegzugsbesteuerung wirksam abgewendet, weil die Stiftung als neue Gesellschafterin des Familienunternehmens durch ihren Satzungssitz in Deutschland auch dann noch der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland unterliegt, wenn die Familie ihren Wohnsitz ins Ausland verlagert hat.
Unterhalb der Eigentümerebene ist als weitere Stellschraube die sogenannte „Exit-Besteuerung“ nach § 12 KStG zu beachten. Diese sieht bei einer Verlagerung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung von Deutschland ins Ausland eine fiktive Liquidation der Gesellschaft vor, wenn sich dadurch die Ansässigkeit der Gesellschaft (und auch das Besteuerungsrecht) nach dem jeweiligen DBA verlagert. Um die Exit-Besteuerung abzuwenden, muss der Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft in Deutschland verbleiben. Dies wird unter anderem dadurch sichergestellt, dass zentrale Führungsentscheidungen nachweislich in Deutschland getroffen werden und im Inland auch weiterhin eine Bürostruktur und nach Möglichkeit weitere Geschäftsführer verbleiben.
Im Ergebnis erreicht die Stifterfamilie über die Stiftungslösung eine in der Generationenfolge stabile Eigentümerstruktur mit klaren und fairen Spielregeln für alle Beteiligten. Dank der Abwendung von Wegzugsbesteuerung und Exit-Besteuerung werden auch kurzfristig die Weichen für einen gelungenen familiären und unternehmerischen Neustart in der neuen Heimat gestellt.