
Wie schaffen wir es, die Interessen der einzelnen Familienmitglieder in einem gemeinsamen Bild zu vereinen? Was tragen wir als Generationen zur Klärung der Nachfolgefragen bei? Wie bleiben wir als Gesellschafter:innenkreis auch in herausfordernden Situationen handlungsfähig? Und wie finde ich in diesem Rahmen die für mich richtige Rolle?
Auf familienunternehmerischen Entwicklungswegen begleiten uns Fragen. Oft leiten sie uns sogar in gewisser Weise. Dabei kann es sein, dass es uns manchmal schwerfällt, den roten Faden oder auch einfach dessen Anfang bewusst wahrzunehmen. Erfahrungsgemäß fällt es uns leichter, inmitten all‘ dieser Fragen Orientierung zu finden, wenn wir sie in einem Raum zusammenführen. Verstehen wir diesen Raum als Werkraum, verbinden wir das, was wir sind, was wir denken und worüber wir sprechen, mit unserem Tun. Und wir können beginnen, ebendiesem gemeinsamen Sein und Tun, unserer inneren Form, eine verbindende äußere Form zu geben. Beispielsweise in einer Familienverfassung.
Wo fangen wir da an? Wer soll alles dabei sein? Und entlang welcher Wege finden wir dorthin? Lassen wir uns ein auf die Entwicklung einer gemeinsamen Verfassung, öffnen sich uns verschiedene Räume, durch die wir uns weiter und weiter voran und auch in die Tiefe bewegen:
Raum für Bewusstsein
Nehmen wir einmal an, wir – ganz gleich aus welcher Generation und ob als Familienmitglied oder an dessen Seite – bewegen uns gedanklich inmitten verschiedener Nachfolgefragen. Nehmen wir auch an, der Aufbau einer Familienstiftung oder gemeinnützigen Stiftung spielt dabei als möglicher Teil der Lösung eine Rolle. Dann scheint ein gemeinsames Verständnis darüber, wo wir als beteiligte Individuen und als Gesamtfamilie stehen, wie wir unsere bisherige Geschichte erzählen und was genau überhaupt eine solche Stiftung ist, ein vielversprechender Ausgangspunkt zu sein.
Wenn wir uns dieses gemeinsamen Status-quo-Bildes, dieses Ist-Zustandes bewusst sind, uns einander zuhören und es in – auch mitunter diskursiven – Gesprächen schärfen, klärt sich die Sicht auf die nächsten möglichen Schritte. Wir üben uns darin, uns für welche zu entscheiden und sie zu begehen. Wir kommen uns näher, schöpfen Vertrauen und blicken so auch offener auf das, was Hand in Hand mit der Verfassungsentwicklung entstehen mag. Das, was weit über Worte auf Papier hinausgeht: ein Gefühl der Verbundenheit und gemeinsamen Perspektive.
Raum für Entwicklung
Ist das Bewusstsein über den gemeinsamen Ausgangspunkt und die möglichen Richtungen da, zeigt sich das, was als konkrete Elemente der Verfassung entwickelt werden mag. Wenn wir bei unserem Stiftungs-Beispiel bleiben, könnte es beispielsweise sein, dass wir eine gemeinsame Formulierung dessen finden, was dazu beiträgt, dass wir unser Tun als bedeutsam erleben. Oft gehört es an dieser Stelle auch dazu, um den Ausdruck gemeinsamer Werte zu ringen, Regeln für die Kommunikation aufzustellen oder auch eine Form für den gelingenden Umgang mit Konflikten schriftlich zusammenzuführen.
Hier kann es auch in Bezug auf das jeweilige Tun ganz konkret werden: Möglicherweise werden Funktionen und Rollen definiert, teilweise in Gremien zusammengeführt und Wege gefunden, wie innerhalb dieser entschieden wird. So entsteht ein schriftlicher Orientierungsrahmen, der das, was bspw. in einem Gesellschaftervertrag oder einer Stiftungssatzung steht, in einer juristisch nicht bindenden Weise ergänzt.
Manchmal schafft die Entwicklung der Familienverfassung so auch sogar noch vor dem tatsächlichen Initiieren einer Stiftung die grundlegende Vorarbeit für das, was dann mit dem Aufbau der Stiftung in deren Satzung Ausdruck finden wird. Was die Entwicklung einer Familienverfassung – so der Prozess im (Generationen-)Dialog entsprechend gestaltet ist und die Beteiligten bewusst dabei sind – immer bringt, ist Klarheit.
Raum für Entfaltung
Ist die Verfassung erst einmal entwickelt, will sie auch entfaltet werden. Bis wir diese in den Händen halten, sind oft schon ein, manchmal sogar zwei oder auch noch mehr Jahre vergangen. In dieser Zeit ist im besten Fall auch schon viel mehr entstanden, als dass Worte auf Papier gefunden haben. Denn während wir zum einen in geschriebenen Worten Vereinbarungen treffen, ist es insbesondere der innerliche Entwicklungsprozess, der wesentlich ist. Denn letztlich ist die niedergeschriebene Verfassung vielmehr einfach Ausdruck der Verfassung, die in und zwischen den Mitwirkenden entstanden ist.
Sind die Seiten dann erst einmal unterzeichnet, gilt es dennoch, sie noch einmal ganz bewusst vom Werk- in den Wirkraum zu bewegen, d.h.: lebendig werden und wirken zu lassen. Das kann beispielsweise bedeuten, dass die Familienmitglieder sich aktiv der Funktionen und Rollen annehmen, die sie entwickelt haben. So wirkt die Verfassung familienintern – und kann auch, beispielsweise für Fremdgeschäftsführende, Orientierungspunkte beinhalten und kraftvoll werden.
Raum für Kultivierung
Findet die Verfassung auch Ausdruck im Tun derjenigen, die sie mitentwickelt haben, stellt sich immer wieder die Frage nach der weiteren Kultivierung des gemeinsamen Seins und Tuns im Sinne der Generationendienlichkeit.
Manche Familien entscheiden sich hier beispielsweise für das Etablieren eines Familienunternehmerwochenendes als jährlich wiederkehrenden Werkraum, in dem auch die Verfassung ergänzt werden darf. Familien wachsen schließlich regelmäßig um neue Mitglieder und genauso auch um nächste Ideen. Diese können dann auch in der Verfassung Ausdruck finden. Einige Familien- und Gesellschafterkreise verbinden diese Zusammenkünfte auch mit qualifizierenden Formaten, bspw. zu branchenspezifischen Themen oder anderen Inhalten, von denen sie glauben, dass sie sie im Zusammenwirken stärken werden.
So wird die Familienverfassung zum verbindenden Ausdruck dessen, was uns voran bewegt. Sie macht greifbar, was die gemeinsame Familienstrategie ist und richtet den Fokus auf den in positiver Weise wirkungsvollen Teil der Familienkultur. Den Teil, der uns als Familie gemeinsam nutzt. So entsteht der Raum, in dem Nachfolge gelingt.
Unsere Gastautoren


Dr. Marcel Megerle ist Gründer und Geschäftsführer der FUTUN: FamilienUnternehmerTUN GmbH. Fast seit der ersten Stunde wirkt auch Leonie Novotny als Teil dieses unkonventionellen Beratungskollektivs nah an seiner Seite.
Als Schweizer Familien[kultur]büro begleitet FUTUN unternehmerische Familien bei anspruchsvollen Transformationen und in der gemeinsamen Gestaltung ihrer generationendienlichen Zukunft. Dazu eröffnet die heute siebenköpfige Werkraumgemeinschaft Arbeitsräume für Familienstrategien und bieten sich an als Steuerraum für eine regenerative Familien- und Vermögenskultur.