VON THORSTEN KLINKNER
Neben dem Wohnsitz ist der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ein Dreh- und Angelpunkt im internationalen Steuerrecht. Hat eine natürliche Person im Inland keinen Wohnsitz, kann sie nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Bundesrepublik gleichwohl unbeschränkt steuerpflichtig sein, wenn sie hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Gewöhnlicher Aufenthalt nach dem deutschen steuerlichen Verfahrensrecht
Nach § 9 Satz 1 Abgabenordnung (AO) hat jemand dort einen gewöhnlichen Aufenthalt, wo er sich an einem Ort oder in einem Gebiet in der Bundesrepublik aufhält und die Umstände erkennen lassen, dass der betreffende Aufenthalt nicht nur vorübergehend ist. Dauert ein Aufenthalt in der Bundesrepublik zusammenhängend mehr als 6 Monate - kurzfristige Unterbrechungen bleiben dabei unberücksichtigt - wird nach § 9 Satz 2 AO gesetzlich unwiderlegbar vermutet, dass die betreffende Person im Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dient der Aufenthalt Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken, muss der betreffende Aufenthalt im Inland nach § 9 Satz 3 AO mehr als 1 Jahr dauern, damit in der Bundesrepublik der gewöhnliche Aufenthalt gesetzlich vermutet wird.
Zu berücksichtigen ist, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik nach § 9 Abs. 1 AO nicht immer erst angenommen werden kann, wer er mehr als 6 Monate bzw. mehr als 1 Jahr dauert. Reist eine Person nach Deutschland mit der Absicht ein, hier längere Zeit, d. h. zumindest mehr als 6 Monate bzw. mehr als 1 Jahr zu bleiben, kann sie hierzulande auch dann einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, wenn sie (z. B. aufgrund unvorhergesehener Umstände) wieder ausreist, bevor sie sich im Inland 6 Monate aufgehalten hat.
Die gesetzlichen Vermutungen des § 9 Satz 2, 3 AO zur zeitlichen Dauer eines Aufenthalts sollen lediglich dazu dienen, bestimmte zeitliche Anknüpfungspunkte für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland zu schaffen. Steht der gewöhnliche Aufenthalt einer Person in Deutschland nach § 9 Satz 1 AO aufgrund anderer Umstände fest, wird dieser auch dann begründet, wenn er weniger als 6 Monate bzw. weniger als 1 Jahr dauert.
Einzelfälle des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik
Die Fragen des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person in Deutschland wurden durch Finanzverwaltung und Rechtsprechung in zahlreichen Einzelfällen präzisiert und ausgearbeitet. Bei diesen Entscheidungen ist hervorzuheben, dass es die Gesamtumstände sind, die über den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person in Deutschland entscheiden. Bereits ein kleines, auf den ersten Blick unwesentliches, Detail eines Aufenthalts kann dazu führen, dass eine Person nach § 9 Satz 1 AO in Deutschland den gewöhnlichen Aufenthalt begründet, auch wenn sie hierzulande weniger als 6 Monate bzw. weniger als 1 Jahr verweilt.
So können private Begleitumstände eines Aufenthalts, wie persönliche, familiäre oder gesellschaftliche Verhältnisse der betreffenden Person oder der Grund ihres Aufenthalts, darüber entscheiden, ob in Deutschland der gewöhnliche Aufenthalt nach § 9 Satz 1 AO angenommen wird. Hat eine Person in der Bundesrepublik den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen - z. B. wenn sich ihre Familie im Inland aufhält - und reist die betreffende Person für eine kurze Zeit immer wieder zu ihrer Familie nach Deutschland ein, kann diese Person in der Bundesrepublik nach § 9 Satz 1 AO den gewöhnlichen Aufenthalt haben, obwohl sie hier zusammenhängend insgesamt weniger als 6 Monate verweilt. Das Gleiche gilt, wenn eine Person nach Deutschland zurückkehrt, weil sie sich hier „zu Hause“ fühlt, z. B. aufgrund gesellschaftlicher Verbindungen, persönlicher Interessen, starker Bindungen zu Verwandten, die im Inland leben, etc., wobei stets die Gesamtumstände über den gewöhnlichen Aufenthalt entscheiden.
Sog. „Grenzgänger“, d. h. Personen, die nach Geschäftsschluss täglich zu ihrem Wohnsitz im Ausland zurückkehren, haben auch dann keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn sie in der Bundesrepublik gelegentlich übernachten oder hier beruflich bedingte Reisen unternehmen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn ein „Grenzpendler“ lediglich am Wochenende zu seiner Wohnung ins Ausland zurückkehrt und wochentags in Deutschland übernachtet. Nach der Rechtsprechung liegt in solchen Fällen der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik.
Gewöhnlicher Aufenthalt einer Person im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen
Die Bundesrepublik unterhält ein engmaschiges Netz von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). DBA sind zwischenstaatliche Abkommen auf dem Gebiet des Völkerrechts, welche die Vermeidung von Doppelbesteuerung bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Steuerpflichtigen und die Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Abkommensstaaten regeln. Mit mehr als 100 geltenden DBA hat Deutschland mit den meisten Staaten der Welt Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen.
Nach § 2 Abs. 1 AO gehen DBA, sofern sie in Deutschland nach Art. 59 Grundgesetz (GG) in das deutsche Recht umgesetzt worden sind, den innerstaatlichen Steuergesetzen vor. Diese Bestimmung, die eine Ausprägung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Art. 25 GG) darstellt, ist allerdings nur ein Programmsatz, der durch sog. Treaty Overrides („Überschreibung“ von DBA-Bestimmungen durch innerdeutsche Gesetze) - hierzu mehr in einem gesonderten Stifterbrief - nur sehr eingeschränkt gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass deutsche innerstaatliche Treaty Overrides grundsätzlich zulässig sind.
Einzelfälle des gewöhnlichen Aufenthaltes in der Bundesrepublik
Die Fragen des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person in Deutschland wurden durch Finanzverwaltung und Rechtsprechung in zahlreichen Einzelfällen präzisiert und ausgearbeitet. Bei diesen Entscheidungen ist hervorzuheben, dass es die Gesamtumstände sind, die über den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person in Deutschland entscheiden.
Bereits ein kleines, auf den ersten Blick unwesentliches, Detail eines Aufenthalts kann dazu führen, dass eine Person nach § 9 Satz 1 AO in Deutschland den gewöhnlichen Aufenthalt begründet, auch wenn sie hierzulande weniger als 6 Monate bzw. weniger als 1 Jahr verweilt.
So können private Begleitumstände eines Aufenthalts, wie persönliche, familiäre oder gesellschaftliche Verhältnisse der betreffenden Person oder der Grund ihres Aufenthalts, darüber entscheiden, ob in Deutschland der gewöhnliche Aufenthalt nach § 9 Satz 1 AO angenommen wird.
Hat eine Person in der Bundesrepublik den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen - z. B. wenn sich ihre Familie im Inland aufhält - und reist die betreffende Person für eine kurze Zeit immer wieder zu ihrer Familie nach Deutschland ein, kann diese Person in der Bundesrepublik nach § 9 Satz 1 AO den gewöhnlichen Aufenthalt haben, obwohl sie hier zusammenhängend insgesamt weniger als 6 Monate verweilt.
Das Gleiche gilt, wenn eine Person nach Deutschland zurückkehrt, weil sie sich hier „zu Hause“ fühlt, z.B. aufgrund gesellschaftlicher Verbindungen, persönlicher Interessen, starker Bindungen zu Verwandten, die im Inland leben, etc., wobei stets die Gesamtumstände über den gewöhnlichen Aufenthalt entscheiden.
Sog. „Grenzgänger“, d. h. Personen, die nach Geschäftsschluss täglich zu ihrem Wohnsitz im Ausland zurückkehren, haben auch dann keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn sie in der Bundesrepublik gelegentlich übernachten oder hier beruflich bedingte Reisen unternehmen. Etwas anderes gilt allerdings, wenn ein „Grenzpendler“ lediglich am Wochenende zu seiner Wohnung ins Ausland zurückkehrt und wochentags in Deutschland übernachtet. Nach der Rechtsprechung liegt in solchen Fällen der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik.
Gewöhnlicher Aufenthalt einer Person im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen
Die Bundesrepublik unterhält ein engmaschiges Netz von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). DBA sind zwischenstaatliche Abkommen auf dem Gebiet des Völkerrechts, welche die Vermeidung von Doppelbesteuerung bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Steuerpflichtigen und die Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den Abkommensstaaten regeln. Mit mehr als 100 geltenden DBA hat Deutschland mit den meisten Staaten der Welt Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen.
Nach § 2 Abs. 1 AO gehen DBA, sofern sie in Deutschland nach Art. 59 Grundgesetz (GG) in das deutsche Recht umgesetzt worden sind, den innerstaatlichen Steuergesetzen vor. Diese Bestimmung, die eine Ausprägung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Art. 25 GG) darstellt, ist allerdings nur ein Programmsatz, der durch sog. Treaty overrides („Überschreibung“ von DBA-Bestimmungen durch innerdeutsche Gesetze) - hierzu mehr in einem gesonderten Stifterbrief - nur sehr eingeschränkt gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass deutsche innerstaatliche Treaty overrides grundsätzlich zulässig sind.
Die meisten Doppelbesteuerungsabkommen, die von der Bundesrepublik abgeschlossen sind, gehen auf das Musterdoppelbesteuerungsabkommen (OECD-MA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD).
Gemäß Art. 4 Abs. Satz 1 OECD-MA ist eine Person insbesondere dann in einem Vertragsstaat des Musterabkommens ansässig, wenn sie in diesem Staat einen „ständigen Aufenthalt“ hat. Nach Art. 3 Abs. 2 OECD-MA ist ein im OECD-MA nicht definierter Begriff nach dem innerstaatlichen Recht eines Abkommenstaats auszulegen. Mangels einer expliziten Definition eines „ständigen Aufenthalts“ im OECD-MA muss dieser Begriff in Deutschland nach dem deutschen Recht - hier nach dem § 9 AO - ausgelegt werden.
Gilt eine Person allerdings in beiden DBA-Staaten als ansässig, bestimmt Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA, dass der „gewöhnliche Aufenthalt“ über die Ansässigkeit einer Person in einem DBA-Staat entscheidet.
Im Gegensatz zum „ständigen Aufenthalt“ nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA ist der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA nicht nach dem innerstaatlichen Recht eines DBA-Staats, sondern abkommensautonom, d. h. nach dem betreffenden DBA und nach dem Völkerrecht, auszulegen.
Die Unterschiede zwischen einem gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 AO und einem „gewöhnlichen Aufenthalt“ nach Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA können gravierend sein.
Als „gewöhnlich“ kann ein Aufenthalt nach Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA nur gelten, wenn er auf eine gewisse Dauer angelegt ist und dazu dient, persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen der betreffenden Person in dem Aufenthaltsland zu verwirklichen, wobei hier keine starren zeitlichen Grenzen existieren. Gesetzliche Vermutungen, wie bei § 9 Satz 2 oder Satz 3 AO, kennt der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA nicht. Auch erfordert der gewöhnliche Aufenthalt nach Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA weder eine Übernachtung im Inland noch weitere qualifizierende Umstände. Erst das Zusammentreffen persönlicher oder wirtschaftlicher Belange eines Steuerpflichtigen, die in einem Abkommensstaat über eine gewisse Dauer verwirklicht werden, begründen einen gewöhnlichen Aufenthalt nach Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA.
Mangels einer starren zeitlichen Grenze kann ein Steuerpflichtiger einen gewöhnlichen Aufenthalt in mehreren Abkommensstaaten haben - dies ist ein weiterer bedeutsamer Unterschied zum gewöhnlichen Aufenthalt nach dem innerdeutschen Recht (§ 9 AO), nach welchem zeitgleiche gewöhnliche Aufenthalte in mehreren Staaten nicht möglich sind.
Die deutsche Finanzverwaltung behilft sich zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Anwendungsbereich eines DBA, das dem OECD-MA folgt, durch einen Rückgriff auf die gesetzlichen Vermutungen des § 9 Satz 2, 3 AO und geht regelmäßig vom gewöhnlichen Aufenthalt einer Person in der Bundesrepublik aus, wenn der betreffende Aufenthalt die Dauer von 6 Monaten überschreitet. Dieses Vorgehen kann und sollte von einem Steuerpflichtigen nicht ungeprüft hingenommen werden, sieht doch Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA bzw. DBA-Bestimmungen, welche diesem folgen, im Gegensatz zum § 9 Satz 2, 3 AO, keine explizite zeitliche Grenze zur Festlegung des gewöhnlichen Aufenthalts vor.
Anderweitige Bestimmung des „gewöhnlichen Aufenthalts“
Einzelne deutsche Doppelbesteuerungsabkommen und andere deutsche völkerrechtliche Abkommen oder Rechtsakte der Europäischen Union, enthalten Bestimmungen, welche von der Definition der Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA bzw. nach § 9 AO abweichen.
Bei der Bestimmung der Ansässigkeit bzw. des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person in einem konkreten Fall sollten deshalb neben dem bzw. den konkreten DBA stets auch andere in Frage kommende deutsche Abkommen geprüft werden.
Als Beispiele seien etwa das NATO-Truppenstatut oder das Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union vom 08.04.1965 genannt, die vom Art. 4 Abs. 2 lit. b OECD-MA und vom § 9 AO abweichende Bestimmungen der Ansässigkeit enthalten. Ferner ist insbesondere das Protokoll vom 17.11.2011 zum DBA Deutschland - Liechtenstein zu erwähnen – dazu mehr in einem gesonderten Stifterbrief – das unter Nr. 2 sehr gewichtige Sonderregelungen zur Ansässigkeit enthält.
Weiterführende Artikel zu diesem Thema:
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