VON THORSTEN KLINKNER
Während der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt die Ansässigkeit und damit auch die Steuerpflicht einer natürlichen Person sowohl nach dem innerstaatlichen deutschen Steuerrecht als auch nach dem internationalen Recht der Doppelbesteuerungsabkommen bestimmt, knüpft die Besteuerung von juristischen Personen - dies können sowohl Gesellschaften bzw. Körperschaften als auch mitgliederlose verselbständigte Vermögen (z. B. rechtsfähige Stiftungen) sein - an den Sitz und an den Ort der Geschäftsleitung der betreffenden juristischen Person.
Grundsätzliches zur Steuerpflicht von juristischen Personen und Personengesellschaften in Deutschland
Die Bestimmung des Sitzes einer juristischen Person ist regelmäßig ohne besondere Probleme möglich: Abzustellen ist nach § 11 Abgabenordnung (AO) auf den der sog. statutarischen Sitz einer juristischen Person. Dieser bestimmt sich nach den Gründungsurkunden der betreffenden Körperschaft oder der Stiftung.
Vom statutarischen Sitz ist der Verwaltungssitz einer juristischen Person zu unterscheiden. Dieser befindet sich an dem Ort, wo sich die Hauptverwaltung der betreffenden Körperschaften oder der Stiftung befinden. Das wird regelmäßig der Ort der Geschäftsleitung der betreffenden juristischen Person sein. Beide Begriffe, der Sitz und der Ort der Geschäftsleitung, entscheiden über die Steuerpflicht einer juristischen Person. Liegt entweder der Sitz oder der Ort der Geschäftsleitung einer juristischen Person in der Bundesrepublik, führt dies nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) zur unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht der betreffenden juristischen Person in Deutschland.
Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichte Personen versteuern ihr weltweites Einkommen in Deutschland (sog. Welteinkommensprinzip). Bei grenzüberschreitender Betätigung von in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtigen Personen führt der Steuerzugriff des ausländischen Staates aufgrund des Welteinkommensprinzips zur Doppelbesteuerung von grenzüberschreitend erzielten Einkünften. Die Vermeidung einer solchen Doppelbesteuerung ist die Aufgabe von Doppelbesteuerungsabkommen, die Deutschland weltweit mit zahlreichen Staaten abgeschlossen hat.
Von der Steuerpflicht einer juristischen Person ist die Besteuerung von Personengesellschaften streng zu unterscheiden. Nach deutschem Rechtsverständnis werden Personengesellschaften im Einkommensteuer- und im Körperschaftsteuerrecht als transparent behandelt, d. h. das Subjekt der Besteuerung ist hier nicht eine Personengesellschaft, sondern deren Gesellschafter als natürliche oder juristische Personen. Diese besteuern die von der Personengesellschaft erzielten Einkünfte bzw. Gewinne, ausgehend von der Höhe ihrer Beteiligung an der betreffenden Personengesellschaft nach dem Einkommensteuergesetz (für natürliche Personen) oder nach dem Körperschaftsteuergesetz (für juristische Personen). In anderen Steuerarten, etwa im Gewerbesteuer- oder im Umsatzsteuerrecht, können Personengesellschaften, vergleichbar mit Körperschaften oder Stiftungen, hingegen intransparent und selbst Steuersubjekte sein.
Ort der Geschäftsleitung
Nach § 10 AO befindet sich der Ort der Geschäftsleitung da, wo der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung der betreffenden juristischen Person liegt. Nach der Auffassung der Finanzverwaltung und nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es der Ort, wo der Wille gebildet wird, der für die Geschäftsführung maßgeblich ist. Entscheidend sind dabei nicht die rechtlichen Regularien der betreffenden juristischen Person, sondern allein die tatsächlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Gesamtumstände im konkreten Fall. Die „Geschäftsführung“ im Sinne § 10 AO ist das Treffen von Entscheidungen über die sog. Tagesgeschäfte, d. h. über laufende Geschäfte im täglichen Betrieb einer Körperschaft oder einer Stiftung, wobei den betreffenden Geschäften ein gewisses Gewicht zukommen muss. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass diese Geschäfte darüber hinaus eine besondere Bedeutung haben müssen.
Auf der anderen Seite reicht es für die Annahme der Geschäftsleitung im Sinne § 10 AO nicht aus, wenn ein Geschäftsleiter lediglich Entscheidungen über untergeordnete Tagesgeschäfte trifft oder andere Geschäftsleiter nur kontrolliert, ohne das Tagesgeschäft zu beherrschen. Dem Leitbild des § 10 AO entspricht deshalb die Tätigkeit des Vorstands einer Aktiengesellschaft oder eines Stiftungsvorstands, nicht hingegen die eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft, der die Geschäftsleitung lediglich beaufsichtigt, ohne in das Tagesgeschäft einzugreifen.
Person des Geschäftsleiters
Für die Annahme eines Geschäftsleiters im Sinne § 10 AO ist es nicht entscheidend, dass eine Person nach der Satzung einer Körperschaft oder einer Stiftung die Geschäftsführer- oder die Vorstandsposition bekleidet. Entscheidend sind allein die tatsächlichen Verhältnisse. Übt eine andere als die satzungsmäßig berufene Person die Geschäftsleitung aus, indem sie z. B. eine Stiftung tatsächlich beherrscht, ist sie als sog. faktischer Geschäftsführer der Geschäftsleiter im Sinne § 10 AO.
Die Grenze zwischen einer intensiven bzw. engen Kontrolle der Geschäftsleitung, die selbst noch keine Geschäftsleitung ist, und der Beeinflussung der laufenden Geschäfte einer Gesellschaft bzw. einer Stiftung, die bereits als eine Geschäftsleitung im Sinne § 10 AO eingeordnet werden muss, ist naturgemäß fließend und kann nur im konkreten Einzelfall bestimmt werden. Ist die zu würdigende Tätigkeit der konkreten Person (noch) als eine Beaufsichtigung der Geschäftsführung nach der Art eines Aufsichtsrats einzuordnen, liegt nach der Finanzverwaltung und nach der Rechtsprechung noch keine Geschäftsleitung im Sinne § 10 AO vor. Anders ist es hingegen, wenn die betreffende Person bereits Tätigkeiten entfaltet, die zum Aufgabengebiet eines Vorstands einer Aktiengesellschaft gehören. In diesem Fall liegt regelmäßig eine Geschäftsleitung im Sinne § 10 AO vor.
Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung
Die geschäftliche Oberleitung ist die oberste Leitungsebene eines Unternehmens, die nicht notwendigerweise mit der Geschäftsführung oder dem Vorstand einer konkreten Gesellschaft bzw. einer Stiftung identisch sein muss. Der geschäftlichen Oberleitung obliegen Aufgaben, die von der Geschäftsführung eines Unternehmens wahrgenommen und regelmäßig nicht an Dritte delegiert werden. Übertragen auf die Stiftung sind es die dem Stiftungsvorstand nach dem Gesetz und nach der Stiftungssatzung zugewiesenen Aufgaben, die der Stiftungsvorstand normalerweise selbst ausübt. Übernimmt eine Stiftung lediglich die Funktionen einer Holding, ist der Stiftungsvorstand in aller Regel nicht die geschäftliche Oberleitung für Gesellschaften, an denen die betreffende Stiftung Beteiligungen hält, da die Stiftung hier lediglich Rechte und Pflichten eines Gesellschafters hat und nicht Geschäftsführungsfunktionen für Tochtergesellschaften ausübt. Eine andere Einschätzung kann geboten sein, wenn die Stiftung als Organträger das tägliche Geschäft in den Organgesellschaften steuert oder durch den Stiftungsvorstand die nachgeordneten Gesellschaften tatsächlich bzw. faktisch beherrscht.
Besondere Probleme in Bezug auf die geschäftliche Oberleitung im Sinne § 10 AO ergeben sich aus der Verwendung von modernen Telekommunikationsmitteln, mittels derer Unternehmen geleitet werden können. Trifft ein Geschäftsleiter die für das Unternehmen maßgebliche Entscheidungen nicht am Unternehmensort, sondern z. B. im Ausland, und übermittelt diese an das Unternehmen mittels Telekommunikation, kann sich der Ort der Geschäftsleitung ins Ausland verlagern. Das Gleiche gilt selbstverständlich für ausländische Unternehmen, deren Geschäftsleiter sich in Deutschland aufhalten und von hier aus für das Unternehmen maßgebliche Entscheidungen treffen.
Gravierende Auswirkungen bei der Qualifizierung einer Person als Geschäftsleiter
Die Qualifizierung einer Person als Geschäftsleiter einer Stiftung im Sinne § 10 AO kann gravierende Auswirkungen entfalten. Werden z. B. der Stifter, ein Begünstigter oder ein Protektor einer in Deutschland lediglich beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen liechtensteinischen Familienstiftung von der deutschen Finanzverwaltung als Geschäftsleiter eingestuft, wird die betreffende Familienstiftung in der Bundesrepublik auf einen Schlag gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und muss ihre gesamten weltweiten Einkünfte in Deutschland deklarieren und versteuern.
Noch gravierendere Auswirkungen wird die betreffende Einordnung auf dem Gebiet des Schenkung- und des Erbschaftsteuerrechts haben. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) ist eine Stiftung in Deutschland schenkung- und erbschaftsteuerpflichtig, wenn sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Im oben geschilderten Fall wird eine ausländische Stiftung, die mangels des Sitzes oder der Geschäftsleitung im Inland nach dem ErbStG in Deutschland nicht steuerpflichtig wäre, in der Bundesrepublik mit ihrem gesamten weltweiten Vermögen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG schenkung- und erbschaftsteuerpflichtig. Sie unterliegt einer sog. Erbersatzsteuer, die alle 30 Jahre ab dem Übergang des Vermögens auf die Stiftung zu zahlen ist.
Nicht minder gravierende Auswirkungen kann die Qualifizierung einer Person als Geschäftsleiter einer Stiftung nach dem deutschen Außensteuerrecht haben. Kommt die deutsche Finanzverwaltung zur Überzeugung, der Stifter, die Begünstigten oder Dritte als Geschäftsleiter hätten auch nach der Übertragung des Vermögens auf eine liechtensteinische Familienstiftung immer noch Verfügungsgewalt über das betreffende Vermögen, kann die deutsche Finanzverwaltung die liechtensteinische Familienstiftung in Deutschland nach § 15 Abs. 1 Außensteuergesetz (AStG) als transparent ansehen und deren Einkünfte und deren Vermögen dem Stifter, den Begünstigten oder den anderen vom Stifter nach § 15 Abs. 3 AStG abhängigen Personen zurechnen.